Erfahrungsbericht Karo

Name: Karo
Universität: Humboldt-Universität zu Berlin
Kampagne: I/2018
Lernweise: Lerngruppe I, alleine, Lerngruppe II
Vorbereitungszeit: anderthalb Jahre

Inhalt

I. Ablauf meines Repetitoriums

Ein kommerzielles Rep kam für mich nicht in Frage. Ein Großteil meines Freundeskreises hatte schon mit dem Rep begonnen und sich in Lerngruppen selbst organisiert. Für mich gab es keinen Grund, davon abzuweichen. Zudem regen mich sexistische Witze und sonstige abwertende Kommentare viel zu sehr auf, als dass ich mich daneben auf Inhaltliches konzentrieren könnte.

Ich habe zuerst neun Monate mit einer Vierer-Lerngruppe gelernt. Meine drei Mitstreiterinnen haben sich nur ein Jahr auf das Examen vorbereitet. Bei unserem Lernplan haben wir uns an befreundeten Lerngruppen orientiert, die allesamt 1 ½ Jahre Vorbereitung gemacht haben. Deswegen haben wir uns dann dreimal in der Woche getroffen, um insgesamt genauso viele Sitzungen machen zu können.

Ich war mir anfangs unsicher, habe mich dann aber doch entschlossen, mir noch ein halbes Jahr länger Zeit zu lassen. Ein Jahr Vorbereitung hätte für mich bedeutet, niemals die Zeit zu haben, mich intensiver mit einem Thema auseinander zu setzen. Dies ist jedoch etwas, was ich dann und wann mal brauchte, um meine Motivation aufrecht zu erhalten. Auswendiglernen war nie meine Stärke. Dagegen hat es mir immer viel Freude bereitet, Gerichtsentscheidungen zu lesen und nachzuvollziehen, wie das Problem in der Praxis behandelt wird und was für Auswirkungen diese oder jene Ansicht im realen Leben hat. Deswegen war für mich nach ein paar Monaten klar, dass ich nach meiner Lerngruppenzeit noch die Möglichkeit haben will, bisher nur oberflächlich behandelte Rechtsgebiete etwas mehr in meinem Gedächtnis zu verankern.

Nach der intensiven Lerngruppenzeit stand ich deswegen plötzlich allein da. Zuerst war das eine große Befreiung. Nicht, weil ich mich mit meiner Lerngruppe nicht gut verstanden hätte, sondern weil ich endlich Zeit hatte. Ich hatte alle Rechtsgebiete schon einmal behandelt (oder. manchmal nur gestreift) und konnte mir nun frei und mit viel Zeit überlegen, was ich nochmal wiederholen wollte. Letztendlich habe ich mich dazu entschieden, das gesamte Strafrecht und einen Großteil des Zivilrechts hintereinander nochmal durchzunehmen. Öffentliches Recht ist mir immer am leichtesten gefallen, deswegen habe ich mich darum nicht mehr gekümmert. Das hat sich später als Fehler herausgestellt. Jedes Rechtsgebiet hat einen „Rhythmus“, eine eigene Technik, Fälle zu behandeln. Wenn man ein Rechtsgebiet länger nicht macht, fällt man da raus. Man sollte es daher meiner Meinung nach vermeiden, ein Rechtsgebiet länger als zwei Wochen nicht zu behandeln.

Um für die letzte Zeit nochmal Gruppendruck und Austausch zu haben, habe ich mich für die letzten vier Monate dann doch nochmal einer befreundeten Lerngruppe angeschlossen. Das Niveau und der Elan in dieser Gruppe waren deutlich höher als in meiner ersten Gruppe. Doch der Schock darüber währte nur kurz und ich habe mich dem Klima angepasst und in den letzten vier Monaten so konzentriert gelernt wie nie zuvor. Auch hier ging es hauptsächlich darum, das Erlernte ein drittes Mal durchzukauen.

Nach der schriftlichen Prüfung habe ich dann zwei Monate Pause gemacht. Danach gab es nochmal wöchentliche Treffen mit meiner Lerngruppe, um uns auf den Vortrag in der mündlichen Prüfung vorzubereiten und ein relativ lapidares, viertes, sehr lückenhaftes Wiederholen des Prüfungsstoffs.

Ich habe während der meisten Zeit fünf Tage in der Woche dem Repetitorium geopfert. In den letzten Monaten vor der schriftlichen Prüfung auch mal sechs Tage. Einen Tag Pause habe ich mir aber immer gegönnt. Neben dem Rep bin ich einem Nebenjob und anderen Nebentätigkeiten nachgegangen, was mich teilweise auch unter der Woche einiges an Zeit gekostet hat. Mir war es wichtig, nicht komplett in die Jura-Blase zu fallen, sondern weiterhin etwas von der Welt weit weg von Meinungsstreiten und theoretischen Problemen mitzubekommen.

II. Lerntyp

Ich bin kein auditiver Lerntyp. Vorlesungen haben mir schon im Grund- und Hauptstudium wenig gebracht und waren mehr Sozial-Event als Lernhilfe, deswegen war für mich schnell klar, dass ich nicht am Uni-Rep teilnehmen würde.

Wie ich effektiv lerne, damit habe ich mich vor dem Rep kaum auseinandergesetzt. Und ich denke, ich habe auch erst zum Ende meiner Lernzeit eine Vorstellung davon bekommen. Mein Gedächtnis ist ein Sieb. Anstatt das Problem frontal anzugehen, habe ich immer darauf vertraut, dass irgendetwas hängen bleiben wird. Erst Monate später habe ich festgestellt, was für ein geringer Bruchteil das ist. Definitionen, Schemata, wichtige Gerichtsentscheidungen, alles vergaß ich schnell wieder. Allein in Klausuren kamen nach längerem Nachdenken aus meinen Gehirnwindungen einige Erkenntnisse schemenhaft wieder hoch. Ich habe das „assoziatives Gedächtnis“ getauft. Wissen wie aus der Pistole geschossen herunter rattern konnte ich nie.

Dafür begann ich früh, mich mit den Gesetzestexten anzufreunden. Letztlich sind sie die einzige Unterstützung in den Klausuren und man verbringt trotzdem mehr Zeit mit dem Lesen von Lehrbüchern anstatt mit Gesetzestexten. Ich begann also, Gesetzestexte Stück für Stück durchzulesen. Meistens bevor ich in ein neues Rechtsgebiet einstieg. Auch selten verwendete Paragrafen, einfach um zu wissen, dass es sie gibt. Anfangs fiel es mir sehr schwer, Gesetze konzentriert zu lesen, aber mit der Zeit wurde ich immer besser darin, mir aus Paragrafen Schemata und Wertungen abzuleiten. Diese Fähigkeit hat meiner Einschätzung nach mit einer guten Portion Glück zu meinem für mich erstaunlich guten Ergebnis in der schriftlichen Prüfung geführt. Die wenigsten Klausuren meiner Kampagne drehten sich um bis ins Detail bekannte Rechtsgebiete und Probleme, besonders im Zivilrecht. Vielmehr ging es darum, die einschlägigen Normen zu finden, die Voraussetzungen aus dem Wortlaut heraus zu erarbeiten und neue Probleme spontan zu bewältigen. Wir habe diese Kategorie von Klausuren „random shit“ getauft. Gerade das fiel mir immer sehr leicht. Im Klausurenkurs kam das nicht so oft vor, m Examen dafür sehr häufig.

III. Lerngruppen

Lerngruppen waren für mich extrem wichtig, besonders für die soziale Anbindung. Ich kannte alle meine Lerngruppenpartner_innen bereits zuvor, war aber mit den wenigsten eng befreundet. Ich entwickelte aber zu allen in der gemeinsamen Zeit enge Beziehungen. Gemeinsames Mittagessen, gegenseitiges Aufbauen, Lerngruppenabende und Austausch über alle Arten von Privat- und Lernproblemen haben ein wonniges Miteinander und ein Zugehörigkeitsgefühl geschaffen, das ich nicht missen will. Jede Person, die ich kenne, hat während der Zeit einige Tiefs durchgemacht. Natürlich können diese auch von Familie und Freunden aufgefangen werden. Aber wirklich verstanden habe ich mich dabei eigentlich nur von meinen Mitstreiter_innen gefühlt.

Bei Lerngruppentreffen haben wir zunächst vergangene Sitzungen in Form von kleinen Fragen wiederholt, dann haben wir eine Klausur oder Fälle passend zum Thema der Sitzung besprochen. Wie viel Lernerfolg die Sitzungen im Nachhinein bei mir bewirkt haben, finde ich schwer zu beurteilen. In meiner ersten Lerngruppe haben wir uns darauf konzentriert, große Klausuren zu lösen, um die Angst davor zu verlieren. Dies hat sicherlich zu einer gewissen Coolness im Umgang mit Klausuren geführt. Irgendwann waren wir richtig gut darin, einfach zu raten, wo das Problem stecken könnte und welche Meinungen es dazu geben könnte. Da Klausuren selten ein einziges Rechtsgebiet behandeln, ist die effektive Wissensvermittlung jedoch oft hintüber gefallen. Im Nachhinein erscheint es mir besser, sich Wissen vor der Sitzung abstrakt anzueignen und dann anhand von Fällen, die sich allein auf das Rechtsgebiet konzentrieren, praktisch anzuwenden.

In meiner zweiten Lerngruppe haben wir zu diesem Zeitpunkt auch nur noch Klausuren gemacht. Ein Sachverhalt wurde ausgeteilt, alle hatten Zeit, innerhalb einer Stunde eine Lösungsskizze anzufertigen, dann wurde die Lösung gemeinsam besprochen. Zu dem Zeitpunkt war das sehr gut. Wir hatten alles bereits behandelt und einen Überblick über alle Rechtsgebiete. Diese Phase hat mich besonders im Zeitmanagement weitergebracht. Plötzlich brauchte ich viel weniger Zeit für meine Lösungsskizzen und schaffte es, Klausuren rechtzeitig fertig zu stellen.

Vor der mündlichen Prüfung haben wir mit einer Stunde Vorbereitungszeit uns gegenseitig Aktenvorträge gestellt. Diese wurden dann der Gruppe vorgestellt und Vertiefungsfragen gestellt. Dann haben wir uns gegenseitig Feedback gegeben besonders hinsichtlich Sprechtempo, Wortschatz und Körpersprache.

IV. Materialien

Wie bereits oben erläutert, zuallererst: das Gesetz! Ansonsten unterlagen meine verwendeten Materialien einem stetigen Wandel. Das hat mich gelehrt, mir am Anfang viele Gedanken darüber zu machen, wie und mit was ich lernen will, anstatt einfach irgendwie anzufangen.

In den ersten Monaten habe ich aus den Standard-Lehrbüchern eigene Skripte angefertigt. Damit habe ich aber schnell wieder aufgehört, ob der Erkenntnis, dass dies viel zu viel Zeit in Anspruch nahm und die Skripte extrem lückenhaft wurden. Danach habe ich angefangen, Skripte von einer befreundeten Lerngruppe, die mir ein Jahr voraus waren, zu übernehmen, zu formatieren und zu ergänzen. So hatte ich bereits einen Grundbestand, konnte mir aussuchen, wo ich tiefer eintauchte und wo ich es dabei beließ. Dann folgte die Erkenntnis, dass ich die Skripte zwar mit viel Elan anfertigte, mir aber kaum wieder anschaute. Irgendwann bekam ich dann die Skripte einer anderen Universität zugespielt, die deutlich besser und professioneller aufgezogen waren als diejenigen der HU. Mit der Lektüre habe ich in den letzten Monaten viel Zeit verbracht. Ich habe mir alle Skripte ausgedruckt und mit einem Markiersystem durchgearbeitet. Dadurch konnte ich gelesene Texte auch im Nachhinein gut mit einem Blick erfassen ohne aufwendige Zusammenfassungen zu schreiben.

Mein Markiersystem:

– Überschriften, Voraussetzungen bei Schemata (orange)

– Probleme (pink)

– Meinungen/Ansichten, dabei jedoch nur der Meinungsträger z.B. BGH, Prof (rosa)

– Definitionen (blau)

– Normen (grün)

– sonstige Hervorhebungen (gelb)

Ein Tag an dem ich nicht meine sechs Markierer dabei hatte war der Horror. 😉

In den letzten Monaten vor der Prüfung habe ich mir dann auch viel Schemata-Bücher zu Gemüte geführt. Mir gefielen die von JuraKompakt am besten, hauptsächlich wegen des Designs und des handlichen Formats. Eigentlich viel zu spät habe ich damit angefangen, diese auf die alltäglichen Bahnfahrten mitzunehmen, wo man am ehesten aus reiner Langeweile mal eine Definition auswendig lernt. Wirklich flächendeckend habe ich die Definitionen besonders im Strafrecht und in Grundrechten aber erst gelernt, als meine Mutter mich diese in den Wochen vor der schriftlichen Prüfung täglich abgefragt hat. Viel weiter als ins Kurzzeitgedächtnis vorgedrungen sind sie dann auch nicht.

In den letzten Monaten habe ich dann auch von den Lehrbüchern komplett die Finger gelassen und dafür meine Liebe für Kommentare entdeckt. Selbst den Palandt habe ich nach Hause geschleppt und so einiges darin nachgeschaut. Lehrbücher geben oftmals nur die Meinung des Autors wieder, was verheerend sein kann, wenn sich der Autor gegen die Bundesgerichts- oder herrschende Meinung stellt, dies aber nicht deutlich zu erkennen gibt. Kommentare haben hingegen zumindest den Anspruch, alle relevanten Meinungen wiederzugeben. Besonders Studienkommentare beschränken sich zudem auf das wesentliche Wissen und werden nicht zu detailliert. Auch einen Kommentar konzentriert lesen zu können erfordert Übung. Studienkommentare lassen sich aber oft ähnlich leicht lesen wie ein Lehrbuch. Ein Blick in die Nomos-Kommentare kann auf jeden Fall nie schaden, wenn man ein Problem noch nicht ganz verstanden hat. Daneben habe ich auch die Bücherreihe „… Probleme aus dem …recht“ des Vahlen-Verlags sehr liebgewonnen. Hier werden die wichtigsten Streitstände aus jedem Rechtsgebiet mit allen Meinungen und Argumenten behandelt. Auch wenn dies viel zu umfangreich ist und man die Streitstände deutlich komprimierter auswendiglernen sollte (wenn überhaupt), sind sie doch gute Checklisten, um von jedem Streitstand zumindest mal etwas gehört zu haben.

Daneben habe ich die Ausbildungszeitschriften genutzt. Zunächst hauptsächlich die JuS im Probeabo, dann auch die JA. Zum Ende hin eigentlich nur noch die Jura. Auf diese hat man als HU-Student_in kostenlosen Zugriff. Zudem erschienen mir die Artikel in der Jura oft didaktisch qualitativer und mehr konzentriert auf den relevanten Examensstoff als in der JuS. Ausbildungszeitschriften können zu einer regelrechten Sucht werden. Ich habe letztlich viele Stunden damit vergeudet, nach spannenden Artikeln zu suchen. Aber es gibt sicherlich schlechtere Formen der Prokrastination. Zudem kann es durchaus motivieren, mal den ein oder anderen Zeitschriftenartikel zu lesen, meistens doch die spannendste Literatur, die das Rep zu bieten hat und essenziell bei aktuellen Themen und Gerichtsentscheidungen.

Daneben hatte ich die Newsletter aller Bundesgerichte abonniert. Auch der Justiz-Ticker des Landes Berlin ist interessant. Wirklich routiniert durchgegangen bin ich diese aber erst vor der mündlichen Prüfung. Auch erst vor der mündlichen Prüfung bin ich auf die diversen Jura-Podcasts aufmerksam geworden: FAZ Einspruch, Lage der Nation, netzpolitik.org, Legal Tribune Online, jurafunk.de und Rechtsbelehrung. Bei aktuellen Themen immer mehr mitdiskutieren zu können ist auf jeden Fall ein ganz schöner Motivationsschub. Deswegen empfehle ich jedem, dort mal reinzuhören. Besonders zum Verständnis des Prozessrechts haben mir die vielen Interviews mit Richter_innen und Rechtsanwält_innen sehr geholfen.

V. Wiederholung und Effektivität

Mir ist auch erst sehr spät aufgegangen, dass es sich sehr gelohnt hätte, mir mehr Gedanken darüber zu machen, wie ich effektiv lerne. Effektivität beim Lernen bedeutet für mich zum einen, dass man sich genau überlegt, welche Art von Wissen erforderlich ist, um Klausuren gut lösen zu können. Welches Schema muss ich lernen, welches Schema kann ich mir spontan aus dem Gesetz erschließen? Ebenso mit den Definitionen. Welche Definition brauche ich überhaupt? Wird man in einer Klausur je von mir verlangen, etwas unter den Eigentumsbegriff des BVerfG zu subsumieren? Daneben gilt es, sich klar zu machen, wie viele Informationen man überhaupt in fünfstündigen Klausuren unterbringen kann. Ich habe zum Ende meines Repetitoriums oft Streitstände oder Argumentationsstränge so aufgeschrieben, wie ich sie auch in der Klausur schreiben würde. Für lange Ausführungen ist da keine Zeit. Hintergrundwissen hat mir zwar geholfen, um die Motivation aufrecht zu erhalten, aber man kann es selten in Klausuren unterbringen.

Zum anderen nützt es einem wenig, etwas zu lesen oder zu lernen, wenn man es am nächsten Tag oder vielleicht auch erst in ein paar Wochen oder Monaten wieder vergessen hat und es sich nie wieder in Erinnerung ruft. Wiederholungen sind der grausamste, aber auch der wichtigste Teil des Reps. Eine Tatsache, die ich nie so ganz ernst nehmen wollte. Von Programmen wie Anki wusste ich zwar, dachte aber immer, es würde schon reichen, mir dann und wann meine Skripte wieder durchzusehen. Man muss sich jedoch klar machen, wie trügerisch das ist. In der Klausur sitzt man vor einem Sachverhalt, dem Gesetz und leerem Papier. Von da aus muss man sich an erlerntes Wissen erinnern. Selbst wenn man also ein Problem auswendig gelernt hat, muss man erst mal vom Sachverhalt auf die anzuwendende Norm und dann auf das Problem kommen. Relevant ist deshalb, in welchen realen Konstellationen das Problem überhaupt auftaucht und in welchem Schema es unter welchem Prüfungspunkt zum Tragen kommt. Karteikarten machen meiner Meinung nach also Sinn, wenn man sich Mini-Fälle stellt, die auf das zu lernende Problem abzielen oder Probleme zumindest in Schemata einordnet.

Daneben bin ich zunächst sehr idealistisch an die Streitstände heran gegangen. Ich habe mir die Meinungen auch manchmal nur als „Ansicht 1“ und „Ansicht 2“ notiert, um dann die Meinung zu vertreten, die sich für mich am besten anhörte. Auch wenn man nicht alle Streitstände auswendig lernen sollte, macht es bei der Wiederholung aber durchaus Sinn, sich zu vergegenwärtigen, was hier BGH-Meinung und damit letztlich in der Praxis geltendes Recht ist und was sich ein chronischer Mindermeinungsvertreter wie Medicus/Petersen ausgedacht hat. Auch hier beschreiben manche Lehrbücher etwas als herrschende Meinung, was dies nach ansonsten einhelliger Ansicht absolut nicht ist. Klausuren sind oft nach Gerichtsentscheidungen konzipiert, welche sich wiederum hauptsächlich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung richten oder diese darstellen. Es ist im ersten Staatsexamen durchaus legitim, Literaturmeinungen zu vertreten. Aber man sollte sich bewusst machen, dass die vielen Praktiker_innen (Richter_innen, Anwält_innen, Verwaltungsbeamt_innen etc.), die die Examensklausuren lesen, sich in ihrem Alltag relativ wenig mit Literaturmeinungen auseinandersetzen und besonders bei Mindermeinungen aus der Literatur erst einmal irritiert sind.

VI. Klausurenkurs

Der Klausurenkurs hat mir eigentlich immer viel Freude bereitet. Morgens früh in die Uni, ohne sich vorbereiten zu müssen, dann fünf Stunden über dem Sachverhalt brüten und vorbei ist der Tag. Ich kann jedem empfehlen, so früh wie möglich damit anzufangen. Der Ablauf der Klausur – Sachverhalt lesen, sich irgendeine Lösung zusammenbasteln und diese dann möglichst schnell runterschreiben – ist das wichtigste, was man im Rep lernen muss. Ich habe mir im ersten Jahr immer die Schemata-Bücher mitgenommen. Diese habe ich dann zusammen mit den Gesetzen wie eine Formelsammlung benutzt und mir eine Lösung zusammengeschustert. So wird der Umgang mit dem Unbekannten geschult.

Die Hälfte einer Klausur besteht daraus, den Sachverhalt unter abstraktes Wissen zu subsumieren. Auf diese Fähigkeit achten besonders die Praktiker_innen, die Klausuren korrigieren. Darauf haben mich auch erst spät ein wissenschaftlicher Mitarbeiter in einer Klausurbesprechung und Menschen, die ihre korrigierten Examensklausuren durchgeschaut haben, hingewiesen. Die Gesetzte, Schemata und Definitionen sind nur das Gerüst einer Klausur, darunter gilt es relativ frei zu subsumieren.

Daneben ist es wichtig, bei den vielen Klausuren den Überblick zu behalten. Einige meiner Klausuren schwirren wahrscheinlich immer noch in irgendwelchen Lehrstühlen herum, weil ich vergessen habe sie abzuholen. Irgendwann habe ich mir eine Übersicht mit folgenden Spalten gemacht: Klausur (z.B. Strafrecht 3), Thema (Diebstahl, Versuch etc.), ob ich sie geschrieben habe, ob ich sie am Lehrstuhl abgeholt habe und ob ich die Musterlösung durchgearbeitet habe. Man sollte jede Klausur nacharbeiten und die Erkenntnisse in sein Wiederholungssystem einspeisen. Oft habe ich Dinge in Klausuren wiederholt falsch gemacht, weil ich mir nur gemerkt habe, wie ich die Problemstellung selbst in der Klausur gelost habe, aber nicht, was die Musterlösung dazu sagte.

VII. Examensprüfungen

Die Examensprüfungen habe ich eigentlich sehr positiv in Erinnerung. Wohl, weil ich die Eigenschaft habe, in stressigen Situationen ruhig, selbstsicher und entspannt zu sein. Alle schlechten Phasen und miesen Launen waren wie weggeblasen. Vor den schriftlichen Klausuren war ich drei Wochen bei meinen Eltern. Das hat mir geholfen, noch einmal aus dem Mief in Berlin raus zu kommen. Als ich dann zwei Tage vor Prüfungsbeginn wieder zurückkam, fühlte es sich so an, als wäre ich aus einem langen, erholsamen Urlaub zurückgekehrt. Zudem habe ich in den letzten Monaten viel Sport gemacht, mir Massagen gegönnt und Abende in der Badewanne verbracht, um den Kopf frei zu bekommen.

Ich weiß, dass die meisten Menschen ganz anders auf Prüfungen reagieren und dass diesen meine Ausführungen wohl nicht viel helfen werden. Aber ich möchte deutlich machen, dass man nicht zwingend vor den Prüfungen miese Laune haben muss und am Ende seiner Kräfte ist, „sonst hat man nicht alles gegeben“. Ich habe im Examen meine besten Klausuren geschrieben, weil ich super gut gelaunt, super entspannt und total klar im Kopf war. Macht euch deutlich, wie viele Auswirkungen eure körperliche und geistige Verfassung auf eure Leistung in Klausuren hat. Deswegen sollte man sich in den letzten Wochen eher darauf konzentrieren, dass es einem gut geht, als auf noch zu erlernendes Wissen.

Die mündliche Prüfung war bei mir mit viel Glück verbunden. Je nach Prüfungskommission bekommt man da noch einen Punkt oben drauf oder bleibt bei seinem Ergebnis. Die wenigsten werden „herunter geprüft“ soweit ich das mitbekommen habe. Auf der Ladung zur mündlichen Prüfung werden die Telefonnummern der anderen Prüflinge weiter gegeben. Damit habe ich für meine Prüfungsgruppe eine WhatsApp-Gruppe gebildet und wir haben uns vor dem Vorgespräch gemeinsam auf einen Kaffee getroffen. Es war sehr beruhigend die Menschen mit denen man den Prüfungstag verbringt zuvor kennen zu lernen um in der Hinsicht zumindest zu wissen, was einen erwartet. Wir haben uns gut verstanden, gegenseitig supportet und in den Pausen zwischen den Prüfungsgesprächen nett miteinander gequatscht.

Ich habe mir vor beiden Prüfungen von einem Freund immer genau erklären lassen, wie die Abläufe am Prüfungstag sind. Am Tag vor der schriftlichen Prüfung bin ich zum Prüfungsort gefahren, damit ich nicht lange den richtigen Eingang suchen muss. Dadurch hatte ich immer eine konkrete Vorstellung davon, was mich erwartet und konnte mich am Abend zuvor besser entspannen.

Lasst euch nicht verunsichern. Dieser Bericht gibt meine Erfahrung wieder, nicht Faktenwissen. Viel Erfolg!