Stellungnahme zur Studie zur Studienabbruchsquote

Bundesweit wird händeringend nach ReferendarInnen gesucht, die Referendareinstellungen sind seit 2000 um 40% gesunken. Es brechen immer mehr Studierende das Jura-Studium ab: 2001 haben bundesweit noch ca. 11000 Studierende das erste Staatsexamen bestanden, 2016 nur noch ca. 9000.

Daher hat das deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung im Auftrag der Justizministerien der Länder nun eine Studie zu den Ursachen des Abbruchs erstellt. Diese Studie ist hier einsehbar.

Die in dieser Studie gezogenen Schlüsse können wir leider nicht teilen, weshalb wir uns entschlossen haben folgenden offenen Brief zu  veröffentlichen:

 

Sehr geehrter Damen und Herren,

wir haben die von Ihnen verfasste Studie zu den Ursachen des Studienabbruchs im Jura-Studium mit großem Interesse gelesen und würden Ihnen dazu gerne eine Rückmeldung geben.

Vorab kurz zu uns: Wir sind JurExIT (Juristisches Examen im Team) Berlin-Brandenburg – eine Initiative von Studierenden der juristischen Fakultäten der Humboldt-Universität zu Berlin und der Freien Universität Berlin, die sich für eine grundlegende Verbesserung der Vorbereitung auf das I. Juristische Staatsexamen sowie eine Reformierung der Examensprüfungen selbst einsetzt. Ausführliche Informationen können Sie unserer Website entnehmen – www.jurexit.de.

Ihre Studie ist bei uns auf großes Interesse gestoßen, weil wir es für sehr wichtig halten, dass die hohen Abbruchquoten bei Jurastudierenden untersucht und entsprechende Lösungsansätze gefunden werden. Daher ist es keinesfalls unser Anliegen, die Studie zu kritisieren. Vielmehr teilen wir die von Ihnen vorgenommene materielle Problemanalyse. Sie veranlasste uns dazu, Jurastudierende, die sich zumeist am Ende ihres Studiums befinden oder das Examen gerade abgeschlossen haben, um eine Stellungnahme zu den Fragen, aus welchem Grund sie ihr Studium abgebrochen hätten und was sie sich konkret als Verbesserung des Studiums wünschen würden, zu bitten. Die daraus gezogenen Schlüsse möchten wir gerne in Beziehung zu den Ergebnissen, die Sie aus Ihrer Analyse gezogen haben, setzen.

Ihr Ansatz, diverse Möglichkeiten zu eröffnen, um vor dem Studienbeginn über die Inhalte des Jura-Studiums zu informieren, ist sehr zu begrüßen. Dies gilt insbesondere für den Vorschlag, bereits in der schulischen Oberstufe Angebote mit juristischen Inhalten wählen zu können.
Auch Lerngruppen, die von MentorInnen angeleitet in den ersten beiden Semestern des Jurastudiums fachliche Defizite identifzieren, um zugleich deren Bewältigung zu dienen, scheinen aus unserer Sicht als zielführend. Dies gilt ebenfalls für die Intensivierung des Praxis- und Forschungsbezugs.

Allerdings können wir den von Ihnen formulierten Lösungsansatz der Durchführung härterer Zwischenprüfungen, um weniger motivierte Studierende frühzeitig „auszusieben“ – nicht mittragen. Vielmehr möchten wir Ihnen an dieser Stelle entschieden widersprechen. Angesichts des zwar variierenden, aber durchgehend äußerst anspruchsvollen Niveaus des Studiums in sämtlichen deutschen Bundesländern halten wir die von Ihnen vorgeschlagene Maßnahme sogar für kontraproduktiv. Unserer Ansicht nach bedarf es gänzlich anderer, grundlegender Veränderungen des Curriculums.

Die hohe Frustration der AbsolventInnen ist unserer Meinung nach auf die umfangreiche Stoffmenge zurückzuführen, die vom Beginn an und dann durchgehend eine äußerst präsentes Gefühl der Überforderung begründet. Studierendenlerngruppen, Mentorenprogramme sowie eine sehr hohe intrinsische Motivation können zwar dabei helfen, das Studium zu bewerkstelligen, lösen hingegen nicht das von uns identifizierte Problem. Die Prüfungen müssen nicht härter, sondern durch eine Reduktion der Stoffmenge in der Weise sinnvoller ausgestaltet werden, dass sie die zu erlernenden juristischen Fertigkeiten der Studierenden abfragen.

Wir regen dazu u.a. an, im Rahmen des Studiums weniger Stoff und diesen dafür eingehender zu behandeln, um so das Verständnis von grundlegenden Strukturen im Umgang mit Gesetzen und juristischen Fragen bei den Studierenden zu stärken. In diesem Zusammenhang plädieren wir auch dafür, das Curriculum zu ändern – dieses verpflichtet die Studierenden derzeit dazu in einer Vielzahl verschiedener Fachgebiete, gänzlich unabhängig von ihrer Relevanz für ein allgemeines Verständnis, der späteren beruflichen Praxis und den Interessen der Studierenden, eine Unmenge von Detailwissen anzusammeln. Den Studierenden sollten mehr Freiheiten und Gestaltungsspielräume bei der Wahl der Veranstaltungen eingeräumt werden, um ihnen so eine eigene Schwerpunktsetzung zu ermöglichen und ihre Motivation zu steigern.

Das derzeitige Jura-Studium ist bis auf den Schwerpunkt, der zwei von neun Semestern der Regelstudienzeit ausmacht, im Pflichtfachbereich ohne Auswahlmöglichkeiten. Das einzige Ziel, welches momentan im Rahmen des Studiums verfolgt werden kann, ist das Staatsexamen,. Dieses berücksichtigt besondere Interessen oder individuelle Motivation, welche der Studienwahl in der Regel zugrundeliegen, allerdings nicht. Ein uns gegenüber im Zuge der eigenen Befragung häufig genannter Grund, Rechtswissenschaften zu studieren, ist jener, das Recht zu analysieren, zu hinterfragen und zu kritisieren. Dieses Bedürfnis erfährt demgegenüber eine bestenfalls nur extrem stark untergeordnete Bedeutung im Zuge des eigentlichen Studiums.
Der von uns identifizierten Kritik, das Studium selbst behandele die verschiedenen Materien und grundsätzlichen Fragen zumeist nur oberflächlich, kann ausschließlich durch eine grundlegende Veränderung des Curriculums sowie einer Stärkung der Wahlmöglichkeiten der Studierenden begegnet werden.

Wenn es darum geht, Zwischenprüfungen einzuführen, die die eigenen Leistungen und die eigene Motivation mit gewisser „Härte“ überprüfen sollen, dann müssten deren Prüfungsergebnisse, anders als es momentan der Fall ist, konsequenterweise auch in die Abschlussnote einfließen. Dies widerspricht auch nicht dem Konzept der Staatsexamens-Studiengänge, wie sich beispielsweise am Lehramts-Studium, wo dies bereits gängige Praxis ist, illustrieren lässt.

Zudem schlagen wir vor, bundesweit entsprechende Regelungen zu treffen, die dazu führen, dass den Studierenden nach dem Abschluss ihres Grund-, Haupt- und Schwerpunktstudiums (in der Regel nach sechs bis sieben Semestern) ohne weitere Zwischenprüfung ein Bachelor der Rechtswissenschaft als ein eigenständiger Abschluss verliehen wird. Gegenwärtig stehen die Studierenden am Ende dieses – einem regulären Bachelorstudium entsprechenden – Zeitraumes ohne jeglichen Abschluss da. Dies schürt einerseits die bereits bestehende Angst vor dem Nichtbestehen der noch bevorstehenden Examensprüfung und führt andererseits dazu, dass Studierende, die bereits vor ihrem Repetitorium wissen, dass sie keine (klassische) juristische Laufbahn einschlagen und sich umorientieren wollen, regelmäßig beginnen müssen, ganz von vorne zu studieren und nicht etwa durch einen Master die neu gewählte Richtung einzuschlagen.

Wir würden uns sehr freuen, wenn Sie zu der von uns vorgebrachten Kritik Stellung beziehen und gegebenenfalls den von Ihnen vorgeschlagenen Lösungsansatz präzisieren bzw. näher begründen würden. Darüber hinaus sind wir an einem fortschreitenden Austausch und einer möglichen Kooperation mit Ihnen interessiert. Sollten Sie dieses Interesse teilen, würden wir uns über ein gemeinsames Treffen freuen. Leiten Sie diese E-Mail auch gerne an die zuständigen Personen der auftragegebenden Landesjustizministerien weiter.

 Mit freundlichen Grüßen

 JurExIT Berlin Brandenburg
 www.jurexit.de